Geschichte
Die Hirschapotheke feierte im Jahr 2021 ihr 150-jähriges Jubiläum!
Ein Anlass, auf die wechselvolle Geschichte zurückzublicken:
Zum 1. Januar 1871 erteilte die Regierung der preußischen Provinz Hessen-Nassau in Wiesbaden die Genehmigung, in Herschbach eine Apotheke zu betreiben.
Anders als heute wurden im 19. Jh. so genannte „Konzessionen“ vergeben. Die damalige Medizinalgesetzgebung sah vor, genau zu prüfen, wo und durch wen eine neue Apotheke gegründet werden durfte. Nicht nur die Befähigung des Apothekers und die Qualität der Arzneimittel mussten unter Beweis gestellt werden, es fand zusätzlich eine Bedürfnisprüfung in der Region statt. Denn mit der Konzession zum Betreiben einer Apotheke wurde gleichzeitig ein Gebietsschutz gewährt, „weil die zu große Concurrenz derselben der treuen Ausübung der Kunst schädlich“ sei.
1819 war zunächst in Selters dem Amtsapotheker Ludwig Leers eine Konzession erteilt worden, dessen Sohn 1837 die Nachfolge antrat. Nach dem Tode von Leers Jr. 1860 durften seine Erben die Apotheke unter Beauftragung verschiedener examinierter und vereidigter Apotheker weiterverwalten. Dennoch befürchtete man eine Unterversorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, da sich im 19. Jh. durch den planmäßigen Abbau hochwertigen Quartzits im Unterwesterwald und die dadurch gegebenen Beschäftigungsmöglichkeiten die Zahl der hier lebenden Familien stetig zunahm.
Als Standort für eine weitere Apotheke im Unterwesterwald stand Herschbach sehr bald aufgrund seiner zentralen Lage und der Anbindung an die Kleinbahn Selters-Hachenburg fest. Nach vielen Jahren bürokratischen Tauziehens wurde schließlich 1871 in Herschbach eine Filialapotheke der Selterser Apotheke zugelassen, allerdings zunächst nur für die Dauer von drei Jahren.
Als erster Apotheker, der in Herschbach wirkte, wird Edmund Nagel genannt.
Ludwig Ferdinand Wild konnte 1876 die Apotheke in Selters zusammen mit der Herschbacher Filiale käuflich erwerben. Unter ständiger Überprüfung der örtlichen Gegebenheiten stellte man von behördlicher Seite fest, dass es „nicht allein wünschenswert, sondern durchaus erboten“ wäre, die Apotheke in Herschbach zu erhalten, so dass deren Konzession immer wieder um drei Jahre verlängert wurde. Nach Ferdinand Wild folgten 1894 Dr. Carl Völcker und 1912 Friedrich Trau, dessen Nachkommen bis zur Schließung am 1.1.2023 die Selterser Amts-Apotheke betrieben.
1912 verfügte die preußische Regierung, dass Filialapotheken in Vollapotheken umgewandelt werden können. Dieses Recht genehmigte man in Herschbach allerdings erst im Dezember 1926. Der Oberpräsident der Provinz Hessen-Nassau in Kassel erteilte dem Apotheker Paul Baldus nach Zahlung von 300 Reichsmark „die persönliche und unveräußerliche Genehmigung zur Errichtung einer Vollapotheke“. Damit konnte 1927 die Hirschapotheke erstmals unabhängig von Selters betrieben werden. Besitzer und Vermieter des Apothekengebäudes in der Siegstraße war die Gemeinde Herschbach, die es 1923 erworben hatte.
Straßenansicht, 1928
Paul Baldus konnte seine Apotheke weder verkaufen, noch einen Nachfolger vorschlagen. Erst mit dem 1958 gefällten Apothekenurteil zur Niederlassungsfreiheit war die bisherige Form der Personalkonzession nicht mehr rechtmäßig. Die Gebietsbeschränkung war aufgehoben und einem Apotheker, unter Beachtung der entsprechenden Gesetze, überall und jederzeit in Deutschland möglich, eine Apotheke neu zu gründen, zu (ver)kaufen oder zu vererben.
Im Januar 1939 trat Heinrich Bode die Nachfolge in der Hirschapotheke an, wurde jedoch im gleichen Jahr zur Wehrmacht eingezogen. Eine namentlich nicht genannte Verwalterin hielt den Apothekenbetrieb bis Ende 1941 aufrecht, bis starke bauliche Schäden einen Weiterbetrieb vorrübergehend unmöglich machten. Nach vergeblichen Versuchen, das Dach abzudichten, erteilte im Oktober 1942 der Landrat von Montabaur die baupolizeiliche Genehmigung, die Apotheke neu zu bedachen.
Aus den späteren Jahren während des 2. Weltkriegs und kurz danach sind nur wenige Quellen verfügbar. Ein „Persilschein“ belegt dem Apotheker Friedrich Terhalle 1948, dass er „kein Nationalsozialist ihrer Art“ war.
Vermutlich im Jahr 1951 übernahm Rudolf Schneeweiß, an den sich noch viele Herschbacher erinnern können, die Apotheke. Woher er genau stammte, ist nicht bekannt, ein Schreiben des Flüchtlingsamtes in Montabaur belegt jedoch, dass er 1945 aus dem Kriegsgefangenlazarett in Scheuern / Nassau entlassen worden war und 1955 einen Bundesvertriebenenausweis beantragt hatte. Er lebte und arbeitete gemeinsam mit seinen beiden Schwestern, dem unverheirateten Fräulein Margarete Schneeweiß – aufgrund ihrer zierlichen Statur im Ort „Schneeweißchen“ genannt – und der verwitweten Frau Hildegard Peitz.
Das Wohn- und Apothekengebäude stand auf dem gleichen Gelände wie die heutige Hirschapotheke, damals aber noch als Hausnummer 9 statt 13 bezeichnet. Während der Zeit des Wirtschaftsbooms beauftragte die Gemeinde 1964 das Architekturbüro Josef Krah in Herschbach, „einen Bauplan für die Errichtung einer neuzeitlichen, den heutigen Erfordernissen entsprechende[n] Apotheke zu erstellen“. Dafür wurde ein Flachbau dem bestehenden Gebäude angefügt und – nach beharrlichem Gesuch der Familie Schneeweiß – auf diesem Anbau noch private Wohnräume aufgesetzt und eine Garage angebaut, bis 1967 die neuen Räumlichkeiten endlich bezugsfertig waren. Auch die Katze der Familie Schneeweiß, die im Apothekenschaufenster residierte, fühlte sich wohl und wurde dort täglich von der jungen Apothekenhelferin gefüttert.
Jeden Donnerstag entfloh Apotheker Schneeweiß jedoch aus dem Apothekenalltag und begab sich gemeinsam mit dem Herschbacher Arzt Dr. Hans Brüll auf Tour – der eine oder andere Herschbacher schloss sich ihnen gelegentlich an – ins Spielkasino nach Bad Neuenahr.
1968 trat der Apotheker Klaus Hartwig aus Bad Segeberg an den Herschbacher Bürgermeister Grebe mit einem Schreiben heran, das Wohnhaus mit einem Vorkaufsrecht für die Apothekenräume zu kaufen. Dazu kam es jedoch nicht, denn Rudolf Schneeweiß blieb bis zu seinem Tod im Jahre 1975 der Apotheker von Herschbach. Nach geltendem Apothekengesetz durften seine Erben, die Schwestern Schneeweiß und Peitz, die Apotheke noch ein Jahr bis zum 1. März 1976 weiterverwalten. In dieser Zeit bot die Gemeinde Herschbach das Anwesen in der Siegstraße zum Verkauf an, allerdings mit der Maßgabe, dass der Käufer dort wieder eine Apotheke betreiben muss.
Es fand sich das Apothekerehepaar Rolf und Heide Mertzlufft, damals in Andernach wohnend, das am Weiterbetrieb der Apotheke interessiert war. Die Räumlichkeiten entsprachen allerdings nicht ihren Vorstellungen, und so planten sie einen Umbau mit einer für die damalige Zeit hochmodernen Architektur, der dem Haus seine heutige Form gab. Der Apothekenbetrieb ging trotz der Umbaumaßnahmen ununterbrochen weiter. Eine damalige Mitarbeiterin erinnert sich, dass während der Umbauphase, in der ihr Arbeitsplatz einer Baustelle glich, sie und ihre Kollegin die Toilette des gegenüberliegenden Friseursalons Hörle mitbenutzen durften.
Die Mertzluffts betrieben die Apotheke bis 1994. Dann kaufte das Apothekerehepaar Götz, das zuvor in Michelstadt / i. Odw. tätig war, das Anwesen in der Siegstraße und stellt seit nunmehr 30 Jahren die Versorgung mit Arzneimitteln in Herschbach und Umgebung sicher. Ute und Günther Götz sind als „Neu“-Herschbacher stolz, die 150-jährige Tradition der Hirsch-Apotheke fortführen zu können.
Dr. Ute Jutta Götz, Pharmaziehistorikerin
mit freundlicher Unterstützung
des Pharmaziehistorikers Prof. Dr. Wolf-Dieter Müller-Jahncke,
(siehe auch Friedrich, Christoph / Wolf-Dieter Müller-Jahncke: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Eschborn 2005 (Geschichte der Pharmazie / R. Schmitz; 2).
und Winfried Himmerich, Archivar in Herschbach
und zahlreicher Zeitzeugen
© Hirschapotheke, Herschbach